Altes Wissen über das Atmen

Artikel aus der Zeitschrift ZEITWISSEN.

Wir haben verlernt, richtig zu atmen: mit dem ganzen Körper, so wie Kleinkinder es noch tun. Die atmen tief in ihren Torso hinein, nicht nur mit dem Brustkorb. Beim Einatmen drückt das Zwerchfell nach unten, der Bauch wölbt sich vor, Luft kann in die Lunge strömen. Beim Ausatmen drückt das Zwerchfell nach oben und presst die Luft aus den Lungen, der Körper wird voll beatmet. Die Lunge selbst hat keine Muskeln, das Zwerchfell und die Atemhilfsmuskeln sind der Motor, der den Sauerstoff in den Körper gelangen lässt. Viele Erwachsene sind aber mit Sauerstoff unterversorgt – sie atmen nur mit halber Kraft. Viele kommen zu mir, wenn sie in einer Notsituation sind:

Asthmatiker lernen, mit der Enge, die in der Lunge entsteht, umzugehen; aus Kampf wird Freiheit. Menschen mit Ängsten eratmen sich ihre Selbstwahrnehmung und damit ihr Selbstbewusstsein zurück. Auch mich hat eine Krise innehalten lassen. Ich hatte vier Bandscheibenvorfälle, war übergewichtig und ausgebrannt nach zehn Jahren als Kunsthändler mit Galerien in Zürich, Los Angeles und London. Mein linkes Bein war gelähmt, sein Hauptnerv tot. Ich hatte Angst, nicht mehr laufen zu können, wurde depressiv und hatte jede Lebensfreude verloren. Bis mir klar wurde: Mit bewusstem Atmen kann ich meinen Körper präzise ansteuern und mit ihm in Dialog treten. Der Atem unterstützte den Heilungsprozess, er hat mich gelehrt, meine Beinmuskulatur wieder an- und entspannen zu können. Erst wenn wir begreifen, dass unser Atem jeden Tag anders ist, dass kein Atemzug dem anderen gleicht, können wir uns unserer selbst gewahr werden.

Ich schließe meine Augen: Ich atme ein, Pause, ich atme aus, Pause. Ich erfahre die Stille zwischen den Atemzügen. Ich beobachte mich, kontrolliere oder manipuliere aber nicht, sondern nehme nur wahr. Bereits in dem Moment verändert sich mein Atem und mein Zustand. So wurde der Atem für mich die Essenz von allem. Durch ihn bin ich an einem Ort angelangt, an dem ich mich alterslos fühle. Ich habe auch erfahren, dass mich der Atem zum Tor der Meditation führt: In der Stille höre ich meinen Körper, wie das Blut fließt, das Herz schlägt. Gedanken sind Lärm. Die Stille ist ein großer Raum. Aber in diesen Raum kann ich nur ohne Angst eintreten. Dann führt mich mein Atem zu mir selbst, und dann ist die Leere das höchste Maß der Fülle.

Unser Experte: Vilas Turske, 70, bildet in seiner Yoga-Akademie in Potsdam Atemlehrer aus. Davor hat er viele Jahre als Kunsthändler gearbeitet und in Irland einen großen Landschaftspark angelegt.

Aufgezeichnet von Hella Kemper, Foto Lena Giovanazzi

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